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Fragen und Antworten zur neuen Normenreihe DIN EN ISO 8655

In einem kurzen Interview geht Dr. Sebastian Haßler im August 2023 auf die Neuerungen in der Norm ein und zeigt an einigen Punkten, was sich zukünftig für die Laboratorien ändern wird.

- Was ist Inhalt der Norm 8655?

Die Normreihe DIN EN ISO 8655 beschreibt in verschiedenen Teilen, wie Kolbenhubgeräte kalibriert werden müssen. Dabei wird nicht nur auf die klassische Einkanal-Kolbenhubpipetten eingegangen, sondern auch beschrieben, wie man beispielsweise Mehrkanalpipetten kalibriert und das ist gar nicht so trivial, wie man denken möchte. Weiterhin wird auch aufgezeigt, wie Dispenser, Büretten oder auch Laborspritzen kalibriert werden müssen. Alles was für ein funktionierendes Gerät wichtig ist, ist in dieser Norm beschrieben.

- An wen richtet sich die Normenreihe?

Primär richten sich die Teile der Norm an Kalibrierlaboratorien, die für die Kalibrierung von Kolbenhubgeräten akkreditiert sind oder sich für diese akkreditieren lassen wollen. Aber auch die Hersteller von Kolbenhubgeräten und deren Verbrauchsmaterial müssen Vorgaben dieser Norm einhalten. So wird beispielsweise beschrieben, welche Informationen genau auf einer Pipette oder einer Spitzenbox vermerkt sein müssen. Daneben werden auch die Laboratorien, die Pipetten nutzen angesprochen. Als konkretes Beispiel sei hier die Durchführung von Routineprüfungen genannt, die im Normteil 8655-1 zu finden ist.

- Das heißt, jedes Labor, das Pipetten nutzt, kommt mit der ISO 8655 in Berührung?

Jein. Hier muss natürlich unterschieden werden, ob ein Labor beispielsweise GMP-Regularien unterliegt, akkreditiert ist, oder einfach nur universitäre Forschung betreibt.
Kurz gesagt, je stärker reguliert wird, desto stärker der Bezug zur Norm.
Wenn beispielsweise ein akkreditiertes Prüflaboratorium die Pipettensätze zu einem akkreditierten Kalibrierdienstleister schickt, dann wird die Prüfung gemäß der Norm durchgeführt. Das nutzende Labor erhält dann im besten Fall eine funktionsfähige, kalibrierte Pipette mit dem dazugehörigen Kalibrierschein und einer Kalibriermarke zurück. Nun sollte das Kalibrierdokument nicht ungelesen zu den Akten geheftet oder in den digitalen Ordner verschoben, sondern sich mit dem Dokument und den darin enthaltenen Ergebnissen auseinandergesetzt werden. Denn auch hier wird normativ vorgegeben, welche Informationen auf einem Kalibrierschein stehen müssen. Es wäre sicher ratsam zu wissen was zum Beispiel der Z-Faktor ist, bevor die nächste Begutachtung ansteht.

- Was bringt die neue Normreihe der DIN EN ISO 8655 zur Kalibrierung von Volumenmessgeräten?

Einige Neuerungen. So muss als Erstes festgehalten werden, dass die Anzahl der Normteile von 7 auf 9 erhöht wurde. Die zwei neu aufgenommen Teile beinhalten das neue Referenzverfahren der Photometrie (8655-8) und das Vorgehen zur Kalibrierung von Laborspritzen (8655-9). Zukünftig wird es noch einen Teil 10 geben, der sich mit dem Training und der Kompetenz von Pipettennutzenden beschäftigen wird.
Wenn ein Labor nur Einkanal- und Mehrkanal-Kolbenhubpipetten gravimetrisch kalibrieren oder prüfen muss, sind die Normteile 8655-1, 8655-2 und 8655-6 relevant. Doch auch in diesen gab es inhaltliche Änderungen.

Anforderungen zu Waagen wurden ebenso wie einige Fehlergrenzen abgeändert.
Eine umfassendere Änderung betrifft die Teile 8655-6 und 8655-7. Werden Kolbenhubgeräte zukünftig nach der gravimetrischen Methode kalibriert, so muss das Dokument 8655-6 haarklein eingehalten werden. Gibt es Abweichungen dazu, dann kann nach dem Dokument 8655-7 kalibriert werden. Alle abweichenden Durchführungen müssen dann dokumentiert sein. Ob eine Kalibrierung nach diesem Dokument akkreditierungsfähig ist, bleibt abzuwarten.

- Was müssen Labore beachten, die zuvor nach der Norm aus 2002 und der DKD-Richtlinie gearbeitet hatten?

Da gibt es sowohl auf Seiten der Kalibrierlabore aber auch auf Seiten der Nutzenden einiges, auf das geachtet werden muss. Und "muss" trifft es sehr deutlich, denn dieser Begriff kommt tatsächlich sehr häufig in der Norm vor.
Die Kalibrierlaboratorien müssen in erster Linie darauf achten, dass weiterhin alle Vorgaben eingehalten werden. Das betrifft sowohl die Umgebungsparameter, die aufgezeichnet werden müssen, als auch das Handling. Als Beispiel kann man den Spitzenwechsel während der Messung betrachten. Während die Norm aus dem Jahre 2002 vorgegeben hat, dass nach jeder Messung ein Spitzenwechsel durchgeführt werden muss, wurde dieser Punkt mit Veröffentlichung des Dokuments DKD-R 8.1 der Physikalisch-Technischen-Bundeanstalt im Jahre 2011 entschärft. Ein Wechsel der Spitze musste demnach nur nach jeder Messreihe vollzogen werden. Das Verbrauchsmaterial wurde also von ursprünglich mehr als 30 Spitzen auf ein Zehntel reduziert. Mit Einführung der neuen Norm muss nun mindestens einmal während einer Messreihe ein Spitzenwechsel stattfinden. Somit verdoppelt sich das Verbrauchsmaterial wieder von 3 Spitzen auf 6 Spitzen. Gerade bei Mehrkanalpipetten ist da ganz schnell eine Packung Spitzen aufgebraucht. Leider ein wenig nachhaltiger Gedanke.

Auch hat sich die Liste der Fehlergrenzen in der Norm stark geändert. Waren es zuvor noch definierte Volumina, wie z.B. 10 µl oder 1.000 µl, sind es jetzt Volumenbereiche für die spezielle Fehlergrenzen gelten, also z.B. 50 - 5.000 µl. Ergänzt wird das Ganze um eine neue Tabelle, die jetzt auch ausführlich die Fehlergrenzen für Mehrkanalpipetten aufführt. Dies hat natürlich auch Folgen für verwendete Kalibriersoftware, die auf die Änderungen angepasst werden muss.

Für nutzende Laboratorien ist meines Erachtens der Abschnitt 6 aus dem Normteil 8655-1 besonders zu beachten. Wurden zuvor keine zeitlichen Angaben für die regelmäßige Durchführung einer Kalibrierung gemacht, so findet man in Kapitel 6.1 seit der Revisionierung Begriffe wie: "metrologische Bestätigung", "alle 12 Monate" und "muss". Genauer gesagt heißt das, dass Pipetten zukünftig vom externen Dienstleister kalibriert werden müssen, oder das Labor kalibriert selbst in regelmäßigem Abstand. Dann aber mit einer metrologischen Rückführung aller Normale auf SI-Einheiten, der Überwachung aller Umgebungsparameter, die für eine Kalibration relevant sind sowie dem Nachweis der Kompetenz der kalibrierenden Personen. Auch auf laborinterne Routineprüfungen, die ebenfalls regelmäßig risikobasiert durchgeführt werden müssen, wird in diesem Abschnitt eingegangen. Es lohnt sich also einen genauen Blick in die neue Norm zu werfen!